Stadtverwaltung will Stadtratsbeschluss zur Aufnahme von Flüchtlingen “nicht weiter verfolgen”

Uwe Peschka:
Der Stadtrat hatte am 29.4. beschlossen, dass sich Lindau bereit erklärt, das Leid der Flüchtlinge z.B. in Moria zu lindern und 50 junge Flüchtlinge aufzunehmen.

Nun liegt eine Beschlussvorlage der Stadtverwaltung vor, die diesen Beschluss einfach kippen will und lapidar vermerkt: “Die Unterbringung von 50 minderjährigen Flüchtlingen im Stadtgebiet Lindau wird nicht weiter verfolgt.”

Zudem scheint sich die Stadtverwaltung einen Antrag der AfD zu eigen zu machen, der das Leid der Flüchtlinge gegen wirtschaftliche Fragen aufrechnet und statt der Hilfen dort, wo sie aktuell nötig sind, eine Begrenzung auf “heimatnahe” Hilfen und “Projekthilfen zugunsten von Heimatländern” “zur Vermeidung von Fluchtursachen” fordert.

Dieses doppelte Aufrechnen gegen wirtschaftliche Faktoren und Ausgrenzen von Flüchtlingen, die schon Heimat und Herkunft verloren haben und z.B. in Moria festsitzen, ist völlig inakzeptabel.

Wir beantragen daher Folgendes:
1. Der Beschluss vom 29. April 2020 bleibt bestehen.
2. Die Oberbürgermeisterin erhält den Auftrag, über die ihr zur Verfügung stehenden Gremien wie den Städtetag unseren Appell an die Bundesregierung weiterzugeben.

Zu den Umständen, warum das Signal der Stadt Lindau in der beschlossenen Form wichtig ist, hier ein kurzer Bericht von Romy Bornscheuer zur Lage auf Lesbos:

Situationsbericht Moria, Lesbos

Der Papst bezeichnete Moria einst als Konzentrationslager und ich wünschte, ich könnte sagen, dass er unrecht hat. 20.000 Menschen leben in Moria auf engstem Raum. Hochgerechnet wäre das, wie wenn 300.000 Menschen auf unserer Insel leben würden.
Aber auch dieser Vergleich hinkt, denn auf unserer Insel stehen Häuser, während die Kinder in Moria unter freiem Himmel schlafen. Nachts frieren sie und wachen morgens mit blauen Lippen auf.
Und unsere Insel ist kein steiler Abhang, wo der Regen Dreck und Fäkalien den Hang runter drückt und Menschen unter Schlamm bedeckt. Es gibt nicht mal Duschen, um sich aufzuwärmen und zu säubern. Auch Toiletten teilt man sich mit Hunderten.
In Lindau gibt es ein Krankenhaus und Dutzende Ärzte, in Moria gibt es nur eine Handvoll Freiwilliger, die den Menschen helfen. Genauso wenig gibt es Rechtsberatung. Und keine Schulen, Kindern fehlen Jahre an Bildung. Elektrizität gibt es nur für maximal zwei Stunden am Tag. Für eine Scheibe Brot und eine Flasche Wasser müssen Familien über Stunden hinweg anstehen.

Und all das über Jahre hinweg, denn die europäische Politik verlangsamt die Asylprozesse und verschlimmert gleichzeitig die Bedingungen in den Camps der Ägäis.
Es liegt an uns, ob wir zu schauen, wie Kinder im Alter von sechs Jahren sich das Leben nehmen, nachts frieren und in Feuern ums Leben kommen, oder ob wir ein Signal setzten und menschlich handeln. Wir in Lindau haben Platz und die Möglichkeiten zu helfen, lasst uns das nutzen und 50 Kindern aus der Hölle holen und eine Chance auf ein friedliches Leben geben.

Romy Bornscheuer, Lindauerin, Medizinstudentin und Gründern von Europeans For Humanity