Erinnerung und Friedensarbeit unerwünscht?

Doch recht verwundert haben sich jüngst die Antragsteller die Augen gerieben, als ihr Wunsch nach einer öffentlichkeitswirksamen Friedensgeste gegenüber unserer französischen Nachbarn – in diesem Fall der Gemeinde Bazien – vom Stadtrat abschlägig beschieden wurde. Über die historischen Kriegsereignisse, die sich mit dem Lindauer Straßennamen “Bazienstraße” verbinden, haben wir im letzten Beitrag berichtet. Hier jetzt der abgelehnte Antrag im Wortlaut:

Antrag an den Stadtrat Lindau

Lindau, den 1. Juli 2012
“Der Stadtrat Lindau beschließt, vor dem Hintergrund des hundersten Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkrieges am 1. August 1914 zum Kinderfest Lindau im Juli 2014 den Bürgermeister und den Gemeinderat der französischen Gemeinde Bazien/Lorraine auf Kosten der Stadt Lindau für drei Tage nach Lindau einzuladen. Die Mitglieder dieser Delegation aus Bazien werden für drei Tage lang rund um das Kinderfest Gäste der Stadt Lindau sein. Die Stadt Lindau wird für Unterkunft, Verpflegung, ein Gastgeschenk und ein Betreuungsprogramm aufkommen.
Begründung:
Seit 1936 – Hitler hatte drei Jahre zuvor die Macht übernommen – gibt es in Lindau die Bazienstraße. Damals wurden dort einfache Häuser für die bisherigen Bewohner der Maxkaserne errichtet. Seit Ende des 1. Weltkriegs hatten in der Kaserne hauptsächlich kriegsgeschädigte Familien gewohnt, nun mussten sie im Rahmen der Erweiterung des Wehrmachtstandortes Lindau zur Wiederaufrüstung der deutschen Armee den Rekruten weichen.
Der Name „Bazienstraße“ war von den örtlichen Nationalsozialisten um Ersten Bürgermeister Fritz Siebert bewusst gewählt worden. Zweiundzwanzig Jahre zuvor, am 25.August 1914, drei Wochen nach Kriegsbeginn, hatte das seinerzeit in Lindau beheimatete 20. Bayerische Infanterieregiment beim Dörfchen Bazien in Lothringen, nahe der elsässischen Grenze, eine, wie es damals hieß, „ehrenvolle Schlacht“ gegen das 31. Feldjäger-Bataillon der französischen Armee gewonnen. Dass bei diesen Kämpfen auch 764 Franzosen und 650 Deutsche den Tod fanden, und Bazien völlig zerstört zurückblieb, wurde kaum zum Thema gemacht.
Durch diese Namensgebung 1936 sollte die „Schmach“ des verlorenen 1. Weltkriegs örtlich wenigstens zum Teil wieder „getilgt“ werden, und die so betriebene Heldenverehrung zur allmählichen Bereitschaft für Revanche umgemünzt werden, was dann bekanntlich im Desaster des 2.Weltkriegs endete.
Leider ist das Wissen um diesen geschichtlichen Hintergrund des Namens der Lindauer
Bazienstraße inzwischen fast verloren gegangen. Anlässlich des 100. Jahrestages der Schlacht bei Bazien ist es jedoch an der Zeit, das historische Gedächtnis auch diesbezüglich aufzufrischen und im Sinne einer friedlichen Zukunftsgestaltung und Völkerverständigung den heute in Bazien lebenden Menschen in diesem Sinne die Hand zu reichen.
Bunte Liste Lindau, Ökologisch-Demokratische Partei Lindau ÖDP“

Nach der schäbigen mehrheitlichen Ablehnung dieses Antrages wurde folgender Ersatzbeschluss gefasst:

„Der Stadtrat beschließt, wie von der Verwaltung vorgeschlagen, im August 2014 an der Bazienstraße, begleitet von einer PR-Aktion, ein entsprechendes Schild zu installieren.“

© Karl Schweizer